Das Maghreb-Viertel zwischen 1898 und 1946
Das Maghreb-Viertel zwischen 1898 und 1946
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Muslimisches Altstadtviertel Jerusalems wird visuell erfahrbar
Mit der App "Jerusalem Maghrebi Quarter" soll der Stadtteil, der nach Jahrhunderten islamischer Geschichte am Ende des Sechs-Tage-Kriegs zerstört wurde, der Öffentlichkeit zugängig gemacht werden
Jerusalem (KNA) Einen von der realen Landkarte verschwundenen Teil der Jerusalemer Altstadt virtuell wiederaufleben lassen: Das will die App "Jerusalem Maghrebi Quarter". Mit ihr soll das Schicksal des Stadtteils, der nach Jahrhunderten islamischer Geschichte am Ende des Sechs-Tage-Kriegs dem heutigen Platz vor der Klagemauer weichen musste, einer möglichst breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, sagten die Entwickler des virtuellen 3D-Modells am Donnerstag bei der offiziellen Vorstellung in Jerusalem.
Die Geschichte des maghrebinischen Viertels gehe zurück ins Jahr 1187, als Saladin den muslimischen Pilgern aus Nordafrika einen sicheren Ort in Jerusalem geschaffen habe, erklärte der französische Historiker Vincent Lemire. Er ist Direktor beider Forschungsprojekte mit insgesamt rund 60 Forschenden aus 15 Ländern, die hinter der neuen App stehen: das europäisch unterstützte und finanzierte "Open Jerusalem" für eine zusammenhängende Geschichte der Stadtbürgerschaft Jerusalems von 1840 bis 1940 und das interdisziplinäre "Archival City" der französischen Gustav-Eiffel-Universität, das sich mit Stadtarchiven und deren Nutzung und Bewahrung befasst.
Bis Juni 1967 sei die Geschichte des Maghreb-Viertels detailliert aufgezeichnet, so dass es zu einem der am besten dokumentierten Orte Jerusalems gehöre, so Lemire. Frage man heutige Besucher an der Klagemauer, so wüssten 99 Prozent von ihnen nicht, wie es 55 Jahre früher an dieser Stelle ausgesehen hat.
Zerstörung des Maghreb-Viertels
In der Nacht des 10. Juni vertrieben israelische Soldaten die etwa 800 bis 1.000 Bewohner des Viertels, bevor Bulldozer ihre 135 Häuser dem Erdboden gleichmachten. Allenfalls bei Infrastrukturarbeiten kommen archäologische Reste des Maghreb-Viertels kurzfristig an die Oberfläche. Der Zeitpunkt - wenige Tage nach der israelischen Einnahme Ostjerusalems und der Altstadt, am Ende des Sechs-Tage-Kriegs, als kaum Journalisten und noch keine Helfer da gewesen seien, sei "das einzige mögliche Momentum" gewesen, ein Jerusalemer Stadtviertel fast ohne Zeugen zu zerstören.
Für die Rekonstruktion sammelten die Forscher alte Fotos, Dokumente in Archiven verschiedenster Städte und Einrichtungen sowie Zeugnisse ehemaliger Bewohner. "Im Schatten der Mauer", die jüngste Veröffentlichung Lemires und Open Jerusalems, erzählt diese Geschichte. Die neue App, so Lemire, gehe einen Schritt weiter, in dem sie dem Nutzer auf einen virtuellen Rundgang mitnimmt. In den rekonstruierten Gassen erfährt er mehr über Moscheen, Schulen und Höfe des Viertels, etwa das "Dar Abu Saud", in dem der spätere Palästinenserführer Jassir Arafat in den 1930er Jahren lebte.
In den kommenden Monaten soll die App, die auch als Desktop-Version erhältlich ist, durch weitere Archivdokumente, archäologische Daten und mündliche Zeugenaussagen erweitert werden.
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